Die Krankheit hat viel Positives
in mein Leben gebracht!
Vom Umgang mit einer Autoimmunerkrankung
Die Frau, die mir gegenüber sitzt wirkt offen, herzlich, energiegeladen, vital und voller Lebensfreude. Ganz anders, als ich sie mir vorgestellt habe. Heike D. hat MS. Multiple Sklerose, eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Die Bilder eines an MS erkrankten Menschen, die ich aus den Medien kenne, stimmen nicht im Mindesten mit der Frau überein, die ich an einem der letzten sonnigen Herbsttage diesen Jahres kennenlernen darf. Heike D. hat sich mit viel Liebe fürs Detail in ihrem riesigen, wunderschönen Garten und ihrem gemütlichen Häuschen verwirklicht, ist Ehefrau, Mutter eines Sohnes und arbeitet als Selbstständige im kreativen Bereich. Sie bewegt sich viel, reitet, und macht gerne lange Spaziergänge alleine oder mit ihrer Familie. Ihre Krankheit ist nicht erkennbar, wenn man Heike kennenlernt. Und doch ist sie da. Seit über drei Jahren.
Begonnen hatte alles mit Ausfall- und Lähmungserscheinungen an Beinen und Armen. In der Klinik, in die ihr Hausarzt sie als Notfall überwies, wurde sie drei Tage durch die gesamte Diagnostik gejagt. Während einer Visite erfuhr sie dann: „Sie haben MS. Kein Zweifel.“ Dann waren sie wieder weg, die Ärzte und Heike D. allein. Allein mit der Diagnose, allein mit der Krankheit. Allein mit dem Schock, den Bildern im Kopf, den Fragen. Dann begann die Zeit, die sie heute als die Schlimmste ihres Lebens bezeichnet. Vier Tage Kortisonbehandlung mit maximaler Dosis. Ihr Körper wehrte sich, reagierte mit schlimmsten Nebenwirkungen. Sie zog die Notbremse. „Das kann ich nicht, das bin ich nicht, das leb ich nicht!“ war ihre Wahrheit in diesem Moment und sie verließ die Klinik auf eigenen Wunsch. Und ging ihren Weg.
Einen Weg, den sicherlich viele nicht nachvollziehen können, denn er ist ungewohnt. Sie entschied sich gegen das Kortison und gegen die schulmedizinische Behandlung. Sie suchte und fand eine Ärztin, die sich auf homöopathische Behandlungen spezialisiert hatte. Sie fand einen Osteopathen, der sie wegen der Begleitsymptome behandelte und ließ sich von einer Freundin Reiki geben, einfach, weil es gut tut und den Energiespeicher wieder auffüllt. Wenige Wochen nach Beginn der homöopathischen Behandlung war Heike D. symptomfrei. Doch das reichte ihr nicht. Sie wollte wissen, wodurch ein Schub bei ihr ausgelöst werden könnte und was sie präventiv tun könnte. Durch eine spezielle Ernährungsberatung mit einer Bioresonanz-Untersuchung erfuhr sie, welche Lebensmittel ihr zuträglich und welche es eben nicht sind. Diese strich sie konsequent von ihrem Speiseplan und fühlt sich seitdem durch ihre Ernährung bereichert und stabilisiert.
Heike spannte ein Netz um sich herum aus Hilfen, die ihr gut tun, Menschen, die ihr gut tun, Dinge, die ihr gut tun. Das gab ihr Halt. Sie lernte ihren Körper neu kennen, erforschte ihre Grenzen, die sie früher oft überschritten hatte. Fand heraus, dass Stress einer der größten Auslöser eines Schubes ist. Also entschleunigte sie ihr Leben. Sortierte aus, setzte Prioritäten neu, fing an, bewusst Pausen zu machen. Reagierte nicht mehr sofort auf Mails und Anrufe, schaffte sich Auszeiten, lernte, Nein zu sagen und sich abzugrenzen. Ihr Leben ist heute das Leben, welches Burnout-Therapeuten und Ärzte jedem empfehlen, die in unserer schnelllebigen Zeit nicht auch der Erschöpfung zum Opfer fallen und seelisch und körperlich gesund bleiben wollen.
Heikes Familie ist ein wichtiger Faktor bei der Prävention von Schüben, ihre Familie rahmt sie ein. Immer wenn ihr Temperament sie überschäumen lässt, bremst ihr Mann sie liebevoll wieder aus.
Die homöopathische Versorgung und die anderen Teile aus Heikes ganz persönlichem Puzzle haben dafür gesorgt, dass sie nur zwei kurze Schübe pro Jahr hatte, die sie unbeschadet überstanden hat. Dennoch ist die Krankheit für sie immer präsent, es vergeht kein Tag, an dem sie nicht daran denkt. Sie blendet auch nicht aus, dass ein einziger Schub an der verkehrten Stelle im Gehirn sie in den Rollstuhl befördern würde. Positives Denken und ein entspanntes Lebenstempo gehören deshalb für sie an oberste Stelle ihres persönlichen Behandlungsplans.
Einmal im Jahr lässt sie sich neurologisch untersuchen. Ihre Neurologin und ihre Homöopathin pflegen mittlerweile einen intensiven Austausch über ihre gemeinsame Patientin und ziehen an einem Strang. Dafür ist Heike sehr dankbar, sagt sie. Auch will sie die Schulmedizin nicht verteufeln, ganz im Gegenteil, für viele ist dieser Weg der richtige, und vielen kann auf diesem Weg geholfen werden. Aber es ist eben nicht ihr Weg. Die Krankheit habe auch viel Positives in ihr Leben gebracht. Neben viel Ruhe auch einen bewussteren Umgang mit sich und anderen. Sie freut sich mehr an Kleinigkeiten, weiß jeden Tag zu schätzen.
Was sie anderen Betroffenen empfehlen kann, frage ich sie. „Eigentlich gar nichts“ sagt sie bescheiden. Jeder muss doch seinen eigenen Weg gehen, um mit der Krankheit zu leben. Sie kann nur allen raten, sich selbst gut im Blick zu haben, sich selbst in den Mittelpunkt der eigenen Wahrnehmung zu stellen, dann findet jeder seinen eigenen Weg. „Man kann immer etwas machen, nicht aufgeben!“, sagt sie. „Es gibt so viele Möglichkeiten die sich zeigen, wenn man hinterfragt und nach Alternativen sucht“.
Bewundernswert, denke ich, während ich mich bewegt auf den Nachhauseweg mache, langsamer als sonst… Das macht Mut und Hoffnung! Danke!
Friederike von Bredow
Dipl. Pädagogin, systemische Paar- und Familientherapeutin
www.neuewege-beratung.com
Veröffentlich in Kinderkram – Das Kieler Magazin für Menschen mit Kindern · Nr. 134 · November 2011