Von der Schule ins Berufsleben
Der Prozess der richtigen Berufswahl und wie Eltern ihre Kinder dabei unterstützen können
Was kommt nach dem Schulabschluss? Ausbildung, Studium, weiterführende Schule, FSJ, Ausland, Praktika? Was will ich mal werden? Was liegt mir? Was kann ich gut? Diese Fragen beschäftigen wohl jeden Jugendlichen. Den einen mehr, den anderen weniger.
Die Berufswahl war früher eine Entscheidung, die für das weitere Leben prägend war. Heute ist Berufswahl ein Prozess mehrerer beruflicher Entscheidungen, denn die Möglichkeiten sind heute ganz andere. Berufswahl in der heutigen Zeit ist ein lebenslanger Entwicklungsprozess. Wenn junge Menschen den Weg ins Berufsleben einschlagen, sind sie oft überfordert mit den vielen möglichen Alternativen, aber auch verunsichert, welcher Beruf der richtige sein könnte und wo ihre Stärken liegen. Oft fehlen auch das nötige Selbstbewusstsein und die Motivation, um die nötigen Schritte zu tun. Denn an den Optionen fehlt es nicht. Es gibt einen ganzen Dschungel an Möglichkeiten.
Um Ihnen raten zu können, wie sie Ihre Kinder unterstützen können, müssen wir zunächst die psychologische Situation des Jugendlichen verstehen. Wie jeder Mensch, der sich in einer aufwühlenden und überfordernden Lebensphase befindet, braucht dieser zunächst das Gefühl, nicht allein zu sein und Unterstützung und Rückhalt zu haben. Und wie jeder Mensch sehnt sich auch ein pubertierender Jugendlicher nach dem Gefühl, geliebt, angenommen und gemocht zu werden, mit all seinen Baustellen, unberechenbaren Gefühlen, den eigenen Bedürfnissen und den persönlichen Besonderheiten. Als dritte Grundannahme lassen Sie uns feststellen, dass jeder Mensch, egal welchen Alters das Bedürfnis hat, autonom und selbständig zu sein, sich selbst als wirksam zu erleben und eigene Erfolgserlebnisse zu schaffen. Ein pubertierender Jugendlicher hat also drei Grundbedürfnisse: 1. Sicherheit und Geborgenheit, 2. Akzeptanz und Wertschätzung und 3. Selbstbestimmung.
In den folgenden Zeilen finden Sie Tipps und Vorschläge, wie Sie unter Berücksichtigung dieser Bedürfnisse sich dem Thema Berufswahl gemeinsam mit Ihren Kindern nähern und sie gut unterstützen können.
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Fangen Sie rechtzeitig an, sich mit dem Thema Berufswahl und berufliche Zukunft auseinander zu setzen. Binden Sie Ihr Kind in diesen Prozess ein. Entwickeln Sie ein Wir-Gefühl. „Wir wollen gemeinsam herausfinden, was dich glücklich macht, wo dein Weg hinführt!“ könnte die direkte oder indirekte Botschaft sein.
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Lassen Sie Ihr Kind spüren, dass Sie es ernst nehmen und ihm wichtige und richtige Entscheidungen zutrauen.
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Erziehen Sie Ihr Kind stärkenorientiert. Das ist eine sehr wichtige, quasi „die Goldene Regel“ für das Schaffen einer stabilen Persönlichkeit. Sie können sie in jeder Beziehung verwenden. Wir Westeuropäer neigen dazu, auf das Defizit zu schauen, auf das halbleere Glas. Üben Sie, das Gute zu sehen. Benennen Sie mehr die Stärken Ihres Kindes als seine Schwächen. Finden Sie in jedem Fehlverhalten auch noch eine Ressource. Beispiel: Ich finde es nicht gut, dass du zu spät gekommen bist, aber es ist prima, dass du mich angerufen hast. Oder: Vielleicht bist du noch nicht so offen und kommunikativ, aber du bist sehr zuverlässig und wissbegierig. Stärkenorientierte Erziehung ist, wie unzählige Studien bewiesen haben, um so vieles effektiver als die defizitorientierte Pädagogik, mit der unsere Eltern- und Großelterngeneration aufgewachsen ist. Unsere Kinder versuchen ständig unsere Liebe und Aufmerksamkeit zu erhaschen und wenn sie erst einmal resigniert haben, nehmen sie lieber die negative Aufmerksamkeit und verhalten sich entsprechend. Sagen Sie Ihrem Kind, was Sie an ihm schätzen, was sie toll und bewundernswert finden. Dies wird helfen, dass es sichgeliebt und respektiert fühlt und mit Ihnen im Kontakt bleibt.
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Stellen Sie Ihre Erwartungen und Vorstellungen, was aus Ihrem Kind werden soll, zurück. Fragen Sie sich, in welchem Beruf sich ihr Kind seinen Neigungen entsprechend entwickeln kann.
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Unterstützen Sie Ihr Kind dabei, sich von ihnen zu lösen und eigenständig Entscheidungen zu treffen. Ihr Kind sollte spüren, dass Sie ihm vertrauen, dass Sie ihm zutrauen, auf ein bestimmtes Ziel hinzuarbeiten und die Entscheidungen für die berufliche Zukunft selbst zu treffen. Denn: Die Kinder sind es, die mit der Entscheidung glücklich werden müssen.
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Unterstützen Sie Ihr Kind mit Ideen, Informationen und Anregungen. Gespräche über die berufliche Vorstellung sind wichtig. Konkrete Fragen helfen weiter: Wofür interessierst du dich? Was kannst du gut? Wie willst du leben? Was ist dir wichtig?
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Machen Sie rechtzeitig einen Termin bei der örtlichen Berufsberatung des Arbeitsamtes. Die zuständigen Berufsberater werden Sie über alle Möglichkeiten und Notwendigkeiten informieren. Beispielsweise hat jeder Jugendliche nach dem 3. Sozialgesetzbuch, §61 ein Anrecht auf eine einjährige Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme (BVB). Während dieses Jahres können die Jugendlichen Einblicke in die unterschiedlichsten Arbeitsfelder erhalten. Außerdem werden stärkenorientierte Assessments durchgeführt, bei denen die Jugendlichen erfahren, für welche Arbeitsfelder sie die nötigen Fähigkeiten und Fertigkeiten mitbringen.
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Jugendliche brauchen Praxiserfahrung. Praktika und Schnuppertage jeder Art können helfen, Einblicke in den beruflichen Alltag der einzelnen Berufe zu erlangen. Motivieren Sie Ihr Kind, neben der Schulpraktika auch einen Teil der Schulferien dazu zu nutzen, in Berufsfelder hineinzuschnuppern. Eltern könnten Tochter oder Sohn auch mal mit an den eigenen Arbeitsplatz nehmen. Oder Sie kennen möglicherweise jemanden, der einen interessanten Job hat?
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Machen Sie mit Ihrem Kind zusammen am PC sogenannte Berufswahltests, wie beispielsweise auf www.berufenet.de. Das Internet hält davon einige zur kostenlosen Nutzung bereit. Werten Sie die Ergebnisse aus und dann kann Ihr Kind sich über die vorgeschlagenen Berufe informieren.
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Mischen Sie sich nicht zu sehr ein. Sie können beispielsweise den Kontakt zu einem Betrieb für Ihr Kind herstellen. Lassen Sie es dann aber selber anrufen, um den Termin für den Praktikumsbeginn zu vereinbaren. Bleiben Sie dabei und ermutigen Sie Ihr Kind.
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Blocken Sie unrealistische Berufswünsche nicht einfach ab. Nehmen Sie die Wünsche der Jugendlichen ernst und suchen Sie nach Wegen, wie sich das Berufsziel vielleicht doch realisieren lässt. Wenn ein Jugendlicher zum Beispiel Künstler werden möchte, sollten die Eltern das Thema Verdienst problematisieren und ihn fragen, ob er sich vorstellen kann, mit wenig Geld und unbeständigen Einkünften zu leben. Möglicherweise findet sich bei diesem Berufswunsch vielleicht eine Lösung, bei der sich Lebensunterhalt und Kreativität unter einen Hut bringen lassen? Wer als Pilot sein Geld verdienen will, muss sich mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass man in dem Beruf ständig mobil sein muss. Hier sollten Eltern mit anschaulichen Beispielen arbeiten.
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Führen Sie mit Ihrem Kind rechtzeitig ein Plangespräch, wenn der für den Berufswunsch notwendige Notendurchschnitt nicht sicher scheint. Was könnte der Jugendliche dazu beitragen, damit das Notenziel erreicht werden kann? Wie können die Eltern helfen? Wie könnte sich der Jugendliche noch mehr motivieren? Könnte Nachhilfe helfen? Ein Belohnungssystem? Eine Umstellung der Lernmethoden?
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Sprechen Sie mit Ihrem Kind über seine Ängste, behindernde Überzeugungen, Glaubensätze und Selbstboykottstrategien. Wenn Sie auf diesem Gebiet unsicher sind, nehmen Sie Fachliteratur und auch fachliche Beratung in Anspruch. In jeder Stadt gibt es öffentliche Beratungsstellen, bei denen Sie als Familie, aber auch Ihr Kind alleine Beratung und Unterstützung für diese aufwühlende Zeit in Anspruch nehmen kann. Meistens kostenlos oder für sehr geringe Stundensätze. Hilfe anzunehmen, ist keine Schande. Wenn Sie also an irgendeinem Punkt merken, es läuft nicht so, wie es soll, oder Sie kommen nicht so an Ihr Kind heran, wie es nötig wäre, dann suchen Sie sich Hilfe.
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Üben Sie gemeinsam Bewerbungen schreiben. Auch hier finden Sie im Internet viele Hinweise und Vorlagen über den jeweils aktuellsten Stand, wie eine Bewerbung auszusehen hat.
- Ein Sprichwort sagt: Wer Leistung fordert, muss Sinn bieten. Wenn ein Jugendlicher Sinn in seinem Handeln sieht, fallen die nächsten Schritte leichter. Vermitteln Sie also Sinn. Philosophieren Sie ruhig mal über den Sinn von Arbeit, über Freiheit und Verantwortung, Selbstverwirklichung versus Anpassung, Selbstwirksamkeit versus Abhängigkeit usw. Lassen Sie konträre Meinungen stehen! Ihr Kind muss seinen eigenen Standpunkt erst noch finden.
In Asien heißt es: Willst Du Dein Leben lang glücklich sein, suche Dir einen Beruf, den Du wirklich liebst. Helfen Sie Ihrem Kind, diese Liebe zu entdecken.
Friederike von Bredow
Dipl. Pädagogin, systemische Paar- und Familientherapeutin
www.neuewege-beratung.com
Literaturempfehlungen:
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„Ich könnte alles tun, wenn ich nur wüsste, was ich will“
von Barbara Smith/Barbara Sher -
„Erfolgreich zum Traumjob: Coaching zur Berufswahl für Eltern und Schüler“
von Eva Schmitz-Gümbel/Karin Wistuba
Veröffentlich in Kinderkram – Das Kieler Magazin für Menschen mit Kindern · Nr. 142 · Sept. 2012