Ungewollte Kinderlosigkeit
– eine Achterbahn der Gefühle

Ungewollte Kinderlosigkeit„Ich bin jetzt so weit, Vater zu werden! Wir können loslegen!“ Mit diesen Worten gab mein Mann vor fünf Jahren den Startschuss für unsere Familienplanung. Endlich. Nun aber los. Ich setzte die Pille ab und dann hieß es warten. Ich war sicher, spätestens in einigen Monaten die erste Rundung meines Bäuchleins stolz zur Schau tragen zu können. Doch nichts geschah. Unsere Vorfreude und Euphorie erhielt einen enormen Dämpfer, als der Frauenarzt einige Zeit später mit nüchternen Worten erklärte, ich habe eine Krankheit, vermutlich erblich, die es mir sehr schwer machen würde, Kinder zu bekommen. Er empfahl eine Kinderwunschbehandlung.

Das war ein Schock. Von einer Sekunde zur anderen war nichts mehr planbar. Der totale Kontrollverlust. Und immer die quälende Frage aus dem Hinterkopf: Was, wenn es nicht klappt? Was, wenn ich nicht schwanger werde, nie Mutter werde?

Wir stürzten uns also hoch motiviert in die Kinderwunschbehandlung. Monat für Monat wird dabei der Zyklus mit Hormonspritzen künstlich aufgebaut, dann der Eisprung ausgelöst. Jeden Monat lag dann am entscheidenden Tag ein Zettel vom Frauenarzt auf unserem Esstisch mit der Aufschrift: GV (Geschlechtsverkehr) heute und morgen in der Zeit von dann bis dann...

Auch das meisterten wir mit Bravour, schließlich meinten wir es ernst, hatten zugunsten des Studiums, der Ausbildung, Arbeit und Karriere den Kinderwunsch schon viele Jahre nach hinten geschoben. Doch jeden Monat bekam ich meine Periode. Der schlimmste Tag im Monat, wir hatten uns so bemüht, die Blutabnahme- und Kontroll-Termine in den vollen Arbeitstag organisiert, und alles nur Mögliche getan. Doch der Erfolg blieb aus.

Mit jedem weiteren Monat wurden wir angespannter, unsere einst spontane und schöne Sexualität mutierte zum Leistungssport, ein zielgerichtetes Unterfangen, Mittel zum Zweck. Die eigene Wahrnehmung veränderte sich: Während ich vorher beim Anblick eines Kinderwagens oder einer hochschwangeren Frau verzückt lächelte, gab mir dieser Anblick nun einen Stich. Die vielen Stunden des Wartens vor den Terminen im Wartezimmer voller schwangerer und Frauen und kleiner Kinder wurde zur Tortur.

Von allen Seiten wurde uns nahe gelegt, uns zu entspannen, denn: wenn wir uns nur entspannen würden, dann würde das auch klappen. Also versuchten wir angestrengt, uns zu entspannen, damit es klappt, natürlich vergebens, und wurden doch immer unruhiger. Nach zwei Jahren konnte ich nicht mehr, wechselte zum zweiten Mal den Arzt und damit auch die Behandlungsmethode. Obwohl wir uns immer gegen künstliche Befruchtung gewehrt hatten („ich will doch nicht, dass ein anderer Mann bei der Zeugung meines Kindes dabei ist“ sagte mein Mann immer), waren wir nun beide bereit, diesen Schritt zu gehen.

Alle Hoffnung und eine Menge Geld, Kraft und Zeit investierten wir. Und dann der Schock nach dem ersten Behandlungsschritt: bei mir wurden keine Eizellen gefunden. Da, wo welche sein sollten: Nichts, gähnenden Leere. Kommt nur bei ganz wenigen Frauen vor. Ausgerechnet bei mir. Warum nur? Damit wurde das Ungewisse noch ungewisser, der Traum vom Kind rückte in unsichtbare Ferne. Obwohl unser Arzt uns Mut machte, noch nicht aufzugeben, war dies insbesondere für mich der Tief- und Endpunkt. Unsere Welt war ins Wanken geraten. Es begann eine Zeit der Trauer, des Weinens, des Loslassens, des Haderns mit dem Schicksal und der unzähligen (Krisen-)Gespräche mit meinem Mann, an deren Ende wir nach ca. einem Jahr einen Adoptionsantrag stellten.

In Deutschland sind rund zwei Millionen Paare von ungewollter Kinderlosigkeit betroffen, also jedes 6. Paar. Kinderlosigkeit ist noch immer ein Tabu-Thema. Nur ganz langsam dringt es ins Bewusstsein der Öffentlichkeit und ungewollt kinderlose Paare finden den Mut, sich zu outen und zu öffnen.

Wer ungewollt kinderlos ist, schämt sich meist dafür; man fühlt sich nur als „halber Mann“ oder „nicht als richtige Frau“. Die eigene Identität und das Selbstwertgefühl werden erschüttert und verunsichert, viele Betroffene fühlen sich minderwertig. Aber nicht nur die ungewollte Kinderlosigkeit, sondern auch deren Behandlung, die sogenannte Fertilitätsbehandlung, geht mit einem erheblichen Maß an Belastungen für Körper und Seele einher. Die Bereitschaft der Betroffenen Paare, dies auf sich zu nehmen, spiegelt den erheblichen Leidensdruck, der durch die ungewollte Kinderlosigkeit entsteht.

Das ständige Schwanken zwischen Hoffnung und Enttäuschung hinterlässt seine Spuren in der Partnerschaft, bei vielen Paaren kriselt es in der Beziehung, der gemeinsame Lebensentwurf wird erschüttert oder bricht zusammen, die Sexualität verändert sich und wird mechanisiert.

Bei manchen Paaren spielt die Schuldfrage eine Rolle. Viele Paare ziehen sich aus ihrem sozialen Umfeld zurück und meiden den Kontakt zu Kleinkindern und Schwangeren. Die größte Belastung ist jedoch meist die Sprachlosigkeit, die sich zwischen beiden Partnern ausbreitet. Jedes dritte ungewollt kinderlose Paar trennt sich nach einer erfolglosen Fertilitätsbehandlung.

Eine Behandlung ist zudem zeitaufwendig und kostenintensiv, sobald die zyklusunterstützende Hormontherapie nicht erfolgreich ist und aus diesen oder anderen Gründen eine künstliche Befruchtung empfohlen wird. Die Kassen übernehmen nur die Hälfte der Behandlungskosten, dies auch nur bei drei Versuchen und bei verheirateten Paaren.

Dennoch möchte ich mich an dieser Stelle für eine Fertilitätsbehandlung aussprechen. Obwohl eine Kinderwunschbehandlung belastend ist, kann dadurch immerhin 80% der Betroffenen zu einer Schwangerschaft verholfen werden. Und selbst, wenn die Behandlung erfolglos bleibt, können die Paare sich sagen: Wir haben alles versucht!

Eine wesentliche Rolle bei einer Kinderwunschbehandlung spielt der behandelnde Arzt/die behandelnde Ärztin und das Praxisteam, die das betroffene Paar durch die aufregende Zeit begleiten. Das Paar sollte sich mit allen Ängsten, Fragen und Unsicherheiten angenommen und unterstützt fühlen und darauf achten, dass die Ärzte sich ausreichend Zeit nehmen, um auf Fragen und Ängste einzugehen. Nicht die Erfolgsquote zählt, mit der geworben wird, sondern das Umfeld, in dem das Paar viel Zeit und viele emotional bedeutsame Momente verbringt.

Wie ist es nun bei uns weitergegangen, fragen Sie sich? Ich will es Ihnen berichten: Als unser Adoptionsantrag so gut wie abschlossen war und die Wartezeit beginnen sollte, bat mein Mann mich um einen weiteren und letzten IVF-Versuch (Invitro-Fertilisation/künstliche Befruchtung), damit er endgültig abschließen und sich auf das Adoptivkind einlassen könne. Ich war einverstanden. Ja, und dann...

Bei diesem Versuch wurden dann zur Überraschung aller insgesamt sechs Eizellen gefunden, die befruchtet und von denen zwei auch eingesetzt werden konnten. So wurde ich unglaublicher Weise schwanger und jetzt sind wir glückliche und stolze Eltern einer mittlerweile einjährigen Tochter. Heute spielt es keine Rolle mehr, auf welche Art und Weise unsere Tochter entstanden ist: sie ist unser Kind und unser Ein und Alles!

Inzwischen berate und begleite ich ungewollt kinderlose Paar durch ihre Kinderwunsch-Achterbahnfahrt der Gefühle. Und wenn ich den Paaren sage: „Ich verstehe Sie!“, ist das absolut ernst gemeint und keine Floskel.

Wie können ungewollt kinderlose Paare den Weg durch die schwere Zeit schaffen? Hier einige Hilfestellungen:

  • Sprechen Sie als Paar miteinander über das, was Sie bewegt, Ihre Ängste, Ihre Scham usw.
  • Öffnen Sie sich im Freundeskreis, vertrauen Sie sich an, spannen Sie um sich herum ein Netz, das Sie hält!
  • Wenn Sie merken, dass es Ihnen als Paar oder einem von Ihnen alleine nicht gut geht, holen Sie sich professionelle Hilfe bei Beratungsstellen oder bei Therapeuten.
  • Wenn Sie sich für eine Kinderwunschbehandlung entschieden haben, suchen Sie sich einen Arzt mit einem Praxisteam, bei dem Sie sich wohl fühlen. In diesem Umfeld verbringen Sie viele Momente, die für Sie emotional bedeutsam sind. Wechseln Sie notfalls solange die Praxis, bis sie die Richtige für Sie gefunden haben, die Ihnen zusagt.
  • Beschäftigen Sie sich mit dem Thema Kinderwunsch, informieren Sie sich, z.B. durch Bücher, bei Ärzten usw.
  • Vernachlässigen Sie dennoch nicht andere Interessen und Hobbys, eine zu starke Fokussierung auf den Kinderwunsch ist kontraproduktiv!
  • Tun Sie Ihrem Körper Gutes! Verwöhnen Sie sich, schaffen Sie einen Ausgleich zur Anstrengung der Kinderwunschbehandlung, schaffen Sie positive Körpergefühle.
  • Machen Sie gegebenenfalls Therapiepausen von der Kinderwunschbehandlung, wenn Sie merken, dass Sie in einen Negativ-Kreislauf von Belastung, Minderwertigkeitsgefühlen und daraus resultierender noch größerer Anstrengung und Anspannung hineingeraten.
  • Schaffen Sie sich als Paar Auszeiten von der Behandlung, z.B. an den unfruchtbaren Tagen, durch Kuschelzeiten, Wochenendausflüge usw.
  • Suchen Sie den Kontakt zu anderen betroffenen Paaren.
  • Gestalten Sie gemeinsam erfüllende Lebenspläne und Perspektiven, sofern das für Sie möglich ist.

Informationen zu medizinischen Behandlungsmöglichkeiten erteilt Dr. med. Kurt Brandenburg, www.kinderwunschkiel.de

Friederike von Bredow
Dipl. Pädagogin, systemische Paar- und Familientherapeutin
www.neuewege-beratung.com

 

Veröffentlich in Kinderkram – Das Kieler Magazin für Menschen mit Kindern · Nr. 127 · März 2011

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