Schlaf Kindlein, schlaf! Oder doch nicht?

Schlaf Kindlein, schlaf! Oder doch nicht? Über Mittagsschlaf-Probleme in Kindergärten
und den bundesweiten Krippen-Ausbau

Es ist soweit: Der Krippen-Ausbau für U3-Kinder (unter 3-jährige Kinder) in Deutschland ist in vollem Gang. Der Rechtsanspruch für einen Krippen-Platz für Eltern von U3-Kindern ist gesichert. Einrichtungen entstehen, Personal wird geschult, Kinder eingewöhnt. Während Kommunen, Einrichtungen und Träger sich um die Strukturen und deren Umsetzung Gedanken machen, drehen sich die Sorgen vieler Eltern, Pädagogen und Wissenschaftler mehr um die Frage, ob die Bedürfnisse der U3-Kinder bei der Größenordnung, der raschen Umsetzung des Kita-Ausbaus und den gleichzeitigen massiven Einsparungen im sozialen Bereich dabei ausreichend beachtet werden. Kann eine Betreuung durch konstantes Personal stattfinden, die mit ausreichend Sicherheit, Konstanz und Geborgenheit bei der Ablösung von den Hauptbezugspersonen Mama und Papa hilft? Ist die neue Generation Erzieher und Sozialpädagogischer Assistenten, die für den raschen Kita-Ausbau gebraucht wird, überhaupt ausreichend für den U-3-Bereich ausgebildet? Fragen, die sich wohl erst im Laufe der Zeit beantworten, aber schon jetzt große Zweifel und Ängste aufkommen lassen. Die Befürchtung steht im Raum, dass mit dem Krippen-Ausbau eine Generation Kinder heranwächst, deren Grundbedürfnisse nach sicherer Bindung, einem ritualisierten Tagesablauf, stressreduzierter Atmosphäre, ausreichend Schlaf, Wärme, Nähe usw. nicht ausreichend sicher gestellt werden können.

Dürfen oder müssen Kinder mittags schlafen?

Zentrales Thema dieser Debatte um Defizite ist der Mittagsschlaf der U3-Kinder im Kindergarten-Alltag. Dürfen Kinder mittags schlafen? Müssen sie es sogar? Wenn ja, wie lange? Und wann? Aufgebrachte Eltern und Kita-Mitarbeiter, die an ihre Grenzen stoßen, diskutieren sich die Köpfe heiß über die Frage, wie alle Bedürfnisse unter einen Hut gebracht werden können. In vielen Kitas haben U3-Kinder noch immer nicht die Möglichkeit, mittags zu schlafen, selbst, wenn sie es gerne möchten und den Schlaf auch dringend brauchen. Selbst wenn Eltern dies einfordern, kann es in vielen Kitas nicht möglich gemacht werden.

Wie umfangreiche Befragungen bundesweiter Kitas zeigen, liegt dies zum einen an den oft nicht ausreichend vorhandenen Räumlichkeiten für den kindlichen Erholungsschlaf, dem zu geringen Personalschlüssel, oder dem Tagesplan, der mit dem kindlichen Mittagsschlaf nicht vereinbar sei. Zum anderen an der Einstellung der Träger, dass Kinder den Mittagsschlaf nicht brauchen, um sich gut entwickeln zu können. Besonders in katholischen Gegenden wird dem Mittagsschlaf der Kinder wenig bis kaum Bedeutung beigemessen. Die Folge sind übermüdete Kinder, die nach einem 8-Stunden-Kita-Tag nachmittags in einen komatösen Schlaf fallen, oder mit denen am Nachmittag nichts mehr anzufangen ist und familiäre Konflikte vorprogrammiert sind, weil das kindliche Gehirn völlig überfordert ist.

Andere Eltern wiederum haben das gegenteilige Problem. Sie berichten, dass die Kinder mittags solange schlafen gelassen werden, bis sie von alleine aufwachen, was dann gerne auch mal zwei bis drei Stunden dauert. Die Folge hier ist, dass die Kinder abends nicht in den Schlaf finden, oft bis nach 22 Uhr wach und aufgedreht sind, und dafür dann am nächsten Tag nicht aus den Federn kommen. Dann müssen sie morgens aus dem Tiefschlaf geweckt werden, sind völlig unausgeschlafen und gewöhnen sich einen für die ganze Familie belastenden Schlafrhythmus an.

Was ist nun richtig? Kinder schlafen lassen, bis sie von alleine wach werden? Oder wecken? Überhaupt schlafen lassen oder nicht?

Sicher sind sich alle Fachleute darin, dass Kinder viel mehr Schlaf als Erwachsene brauchen. Sicher ist auch, dass das Schlafbedürfnis von Kindern unterschiedlich ist. Ein Kind, das seinen Schlafbedarf in der Nacht vollständig stillt, braucht vielleicht keinen Mittagsschlaf mehr. Ein anderes vielleicht schon! Als Anhaltspunkt kann man sagen, dass es für Kinder unter 3 Jahren am besten ist, wenn sie insgesamt 12 bis 15 Stunden innerhalb von 24 Stunden schlafen, davon ein bis drei Stunden am Tag.

Kinder unterscheiden sich auch in ihrer Stressresistenz. So kommen manche Kinder besser mit der Verarbeitung aller Eindrücke und Reize eines Kita-Tages klar als andere. Rund 25 % der Kleinkinder geben den Mittagsschlaf schon vor dem dritten Geburtstag auf. Etwa jedes zweite Kind verzichtet im Alter zwischen drei und vier Jahren auf das Nickerchen am Mittag. Die restlichen 25 % der Kinder behalten den Mittagsschlaf bei, bis sie 5 Jahre oder sogar noch älter sind.

Kinder haben unterschiedliche Bedürfnisse

Worin sich auch eigentlich alle Wissenschaftler sicher sind, ist, dass Kinder einen Mittagsschlaf machen sollten, wenn sie das Schlafangebot annehmen. Ein Kind dagegen, dass partout nicht schlafen will, und dem es ohne Mittagsschlaf auch bis zum Abend gut geht, sollte nicht gezwungen werden. So kann erst mal festgestellt werden: Ein Mittagsschlaf sollte grundsätzlich
bei der Betreuung von U3-Kindern als feste Größe in den Betreuungs-Alltag eingebaut werden. Während des Mittagsschlafes werden, wie viele Studien gezeigt haben, Stresshormone abgebaut, Wachstumshormone ausgeschüttet und Lerninhalte verarbeitet. Das Gedächtnis wird gestärkt, das Gewicht langfristig reduziert und das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen massiv gesenkt. So ist ein Kind nach einem Mittagsschlaf wieder ausgeruht und offen, neue Eindrücke aufzunehmen und zu verarbeiten.

Schlafmangel dagegen kann schlimme Folgen haben. Wird das kindliche Schlafbedürfnis nicht gestillt, und keine Pause ermöglicht, kann das kindliche Gehirn nicht vor Überreizung geschützt werden. Wenn ein Kind zu wenig Schlaf bekommt beziehungsweise dieser nicht ausreichend erholsam ist, dann kann das zu einem Familien-Albtraum werden. Entwicklungs- und Verhaltensstörungen können die Folge sein, ebenso wie Stimmungsschwankungen, Gereiztheit und Konzentrationsstörungen. Positiv formuliert: Der kindliche Schlaf und damit auch der Mittagsschlaf ist eine wichtige und notwendige Voraussetzung für die Ausgeglichenheit und Fröhlichkeit eines Kindes.

Damit ein Kind abends beim Einschlafen aber keine Schwierigkeiten hat, sollte der Mittagsschlaf bei einem Kleinkind mit anderthalb Jahren (und älter) nicht länger als eineinhalb bis zwei Stunden dauern (Minimum 30 Minuten). Zwischen dem Mittagsschlaf und dem Zubettgehen am Abend sollten mindestens vier Stunden vergangen sein, damit das Kind Zeit hat, wieder müde zu werden. Weiterhin gilt: Wecken ist erlaubt und manchmal auch wirklich angebracht. Wenn ein Kind nachmittags sehr lange (über zwei Stunden) schläft, sodass es abends Schwierigkeiten hat einzuschlafen. Dann sollte das Wecken des Kindes möglichst behutsam vonstatten gehen, indem z.B. die Tür zum Schlafraum aufgemacht wird und so der „normale Lärm“ ins Zimmer gelassen wird. Das Kind kann auch beruhigend angesprochen oder ihm etwas vorgesungen werden. Sanftes Streicheln hilft ebenso beim Aufwecken. Wichtig ist, dem Kind Zeit zu lassen, langsam ganz wach zu werden, indem man sich nach dem Aufstehen zunächst ruhig mit ihm beschäftigt (Musik hören, vorlesen, kuscheln). Ein Kind kann direkt nach dem Aufwachen noch keine Aufforderungen befolgen, Gesprächsinhalte verstehen und verinnerlichen oder sich „schnell anziehen!“

Zusammenfassung:

  • Kinder unter 3 Jahren brauchen mittags ein Nickerchen. Es muss ihnen zumindest angeboten, aber nicht aufgezwungen werden.
  • Kinder, die mittags nicht mehr schlafen möchten/können, brauchen zumindest eine Ruhepause, damit das kindliche Gehirn sich erholen kann (z.B. auf dem Sofa ein Buch anschauen, Kassette hören, puzzeln usw.).
  • Regulierend eingegriffen werden sollte, wenn ein Kind abends zur Schlafenszeit nicht müde ist. Das könnte darauf hindeuten, dass Schlafenszeiten, die eigentlich in der Nacht stattfinden sollten, auf den Nachmittag verlagert werden. Dann sollten der Mittagsschlaf gekürzt oder langsam abgeschafft werden.
  • Das Wecken aus dem Mittagsschlaf ist weniger schlimm als das morgendliche Wecken aus dem Tiefschlaf, sollte aber immer sanft vonstatten gehen.
  • Manchmal kann man ein bisschen tricksen: Hat ein Kleinkind den Mittagsschlaf erst einmal abgeschafft – und das passiert oft ohne große Vorwarnung – dann kann man da wenig machen. Aber es lohnt sich immer, die sogenannte „Zeitverschiebung“ zu versuchen, wenn man eine längerfristige Änderung herbeiführen möchte. Dann sollte man sehr behutsam vorgehen und den Schlafrhythmus des Kind in Viertelstundenschritten verändern.
  • Kinder lieben und brauchen feste Rhythmen: Wichtig für Kinder ist ein geregelter Tagesablauf. Er macht es ihnen einfacher, auch mittags zur Ruhe zu kommen und zu akzeptieren, dass jetzt Schlafenszeit ist. Hier können auch Kitas es sich einfach machen: Kinder, die an feste Zeiten gewöhnt sind, schlafen schneller ein, sind folgsamer, aufnahmebereiter, ausgeglichener usw.

Was bedeutet das nun für die vielen Kitas, die mit der Betreuung des kostbarsten Guts unserer Gesellschaft betraut sind? Wünschenswert wäre, wenn sich Kitas, die im U3-Bereich betreuen, über die Grundbedürfnisse von U3-Kindern informieren und fortbilden. Stehen keine Räumlichkeiten zur Verfügung, muss Abhilfe geschaffen werden. Ist der Personalschlüssel ein Problem, kann auch hier improvisiert werden, in dem beispielsweise die ErzieherInnen mit einem Babyphone zur Pause gehen.

Was können Eltern tun, um sich für die Bedürfnisse ihres Kindes einzusetzen?

Wichtig ist das rechtzeitige Informieren über das pädagogische Konzept einer Kita im Vorfeld. Gibt es Schlafmöglichkeiten? Wird das kindliche Schlafbedürfnis ernst genommen? Weiterhin können Gespräche mit den ErzieherInnen und auch der Kita-Leitung helfen. Suchen Sie gemeinsam nach Lösungen, wie das individuelle Bedürfnis des Kindes berücksichtigt werden kann. Vielleicht gibt es die Möglichkeit, die Essenszeiten nach vorne zu ziehen, Bausteine im Tagesablauf umzustellen, die „älteren“ Kinder während der Mittagspause für eine Zeit in eine andere Gruppe zu geben usw.

Wie so oft ist es gerade in diesem Fall sehr schwer, allen Bedürfnissen gerecht zu werden. Konflikte sind vorprogrammiert, es besteht Bedarf an Austausch und Weiterentwicklung von Konzepten, aber auch von Rückmeldungen an die politischen Entscheidungsträger.

Denn eins ist klar: Die ersten drei Jahre sind entscheidend für die körperliche, psychische und soziale Entwicklung eines Kindes. Und Kinder sind – nicht nur sprichwörtlich, sondern ganz reell – unsere Zukunft. Also lohnt es sich, von allen Seiten auf die Bedürfnisse unseres Nachwuchses zu schauen, und alles dafür zu tun, ihnen die bestmöglichen Bedingungen zu schaffen, um sich gesund zu entwickeln. Drücken wir es sprichwörtlich aus, hieße das: Geben wir unseren Kindern Wurzeln (Liebe, sichere Bindung, Schlaf, Nahrung usw.), dann wachsen ihnen Flügel!

Friederike von Bredow
Dipl. Pädagogin, systemische Paar- und Familientherapeutin
www.neuewege-beratung.com

 

Veröffentlich in Kinderkram – Das Kieler Magazin für Menschen mit Kindern · Nr. 159 · Mai 2014

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