Lieber zu früh als zu spät!

Lieber zu früh als zu spät! Warum abwarten und Teetrinken bei Krisen in der Partnerschaft nichts bringtWarum abwarten und Tee trinken
bei Krisen in der Partnerschaft nichts bringt

Die Gründe, warum Paare eine Eheberatung oder Paartherapie beginnen, sind unendlich vielfältig: Affären, Konflikte, Trennungsgedanken, verhaltensauffällige Kinder, Verlust von Nähe und Intimität, Gefühlskälte usw. Lediglich der Zeitpunkt ist bei den meisten Paaren gleich. Fünf vor zwölf. Und manchmal auch schon fünf nach zwölf.

Die Erstgespräche in den Praxen und Beratungsstellen ähneln sich dadurch sehr. Oft hören wir Paartherapeuten Sätze wie „Meine Frau empfindet nichts mehr für mich“, „Wir haben seit Jahren keinen Sex mehr“, „Wir streiten nur noch. Ich habe mich in eine andere Frau verliebt“, „Da war dann plötzlich der Arbeitskollege, der war für mich da, hörte mir zu“. „Die Gefühle sind weg“, „Mein Mann ist vor zwei Wochen ausgezogen“, „Wir haben noch nie richtig offen reden können“, „Der Alltag hat uns entfremdet“ usw.

Hohe Anmeldezahlen bei Paartherapeuten

Die meisten Paare suchen leider erst dann Hilfe, wenn einer der beiden schon Trennungsgedanken hat, wenn schon eine Außenbeziehung statt gefunden hat oder wenn die Gefühle bei einem der Partner nicht mehr so sind, wie sie sein sollten. An diesem Punkt kommen wir Paartherapeuten dann ins Spiel, sollen retten, was zu retten ist. Das Kind aus dem Brunnen fischen. Die öffentlichen Beratungsstellen und niedergelassenen Paartherapeuten verzeichnen so hohe Anmeldezahlen wie noch nie zuvor! Immer mehr Paare suchen – glücklicherweise! – Hilfe zur Rettung ihrer Ehe und Partnerschaft. Möglichst sofort, möglichst schnell, möglichst effektiv. Doch so einfach geht das nicht!

Zwei Menschen, die sich schon sehr weit voneinander entfernt und sich viele Verletzungen zugefügt haben, die sich nicht mehr vertrauen, brauchen viel Zeit, Geduld und Unterstützung, um sich einander wieder öffnen zu können. Das ist ähnlich wie bei körperlichen Krankheiten. Je weiter sie fortgeschritten sind, desto langwieriger ist die Behandlung. Wer rechtzeitig zum Arzt geht, hat gute Heilungschancen. So ist es auch bei einer Paartherapie: Wer rechtzeitig Hilfe in Anspruch nimmt, hat gute Chancen, dass die Partnerschaft die Krise übersteht und daran wächst. Wie kommt es, dass Paare so lange warten, bis das Wort Trennung im Raum steht? Oft steht die Hoffnung im Vordergrund, das Problem würde sich schon lösen. Wenn erst das Haus fertig gebaut sind, wenn erst der Job ein anderer ist, wenn erst die Schulden abgezahlt sind, wenn erst der Sommer wiederkommt, wenn erst das nächste Kind geboren ist, wenn die Kinder erst aus dem Gröbsten raus sind, wenn endlich Urlaub ist, dann wird es bestimmt wieder.

Vielen Paaren fehlt einfach auch oft die Idee, wie man die Probleme angehen könnte, welche Perspektiven und Lösungswege es gibt. Oder es fehlt auch einfach das Wissen und das Bewusstsein, wann der Punkt gekommen ist, an dem man sich Hilfe holen sollte. Vielen fehlt vielleicht einfach der Mut, sich den Problemen zu stellen, sich einer wildfremden Person anzuvertrauen und dann auch noch an der Beziehung zu arbeiten. Das Wort Arbeit impliziert, dass es etwas anstrengendes ist, dass man etwas investieren muss. Dafür fehlt häufig die Kraft und die Motivation.

In der heutigen Zeit
bestehen hohe Erwartungen an die Partnerschaft

Dabei ist uns Beziehungsfähigkeit und Problemlösekompetenz ja nicht immer in die Wiege gelegt worden. Haben uns unsere Eltern vorleben können, wie man eine erfüllte, konstruktive Partnerschaft auf Augenhöhe führt? In der Regel nicht. Die eigene Vita hat meist nicht unbedingt positiv dazu beigetragen, dass wir in Krisen- und Stresssituationen so adäquat mit unserem Partner umgehen, dass die Partnerschaft aus jeder Krise gestärkt hervor geht. Die alten Verletzungen sind wie schlecht vernarbte Wunden auf der Seele, die immer wieder weh tun, wenn unser Partner sich nicht so verhält, wie wir es uns wünschen.

Woher sollen wir also wissen, wann und wie wir etwas in unserer Partnerschaft verändern sollen? Und dann muss der Partner ja auch noch mitziehen! Dazu kommt, dass in unserer heutigen Zeit sehr hohe Erwartungen an die Partnerschaft gestellt werden. Der Partner soll bester Freund und gleichzeitig Liebhaber sein. Die Partnerin soll mütterlich versorgend und gleichzeitig aufregend und begehrenswert sein. Wir möchten Sicherheit, aber auch Neues und Auftregendes. Sowohl Halt und Geborgenheit als auch Freiheit und Individualität. Wir wünschen uns ein gut funktionierendes Miteinander, aber auch das eigene Ich darf nicht zu kurz kommen. Kurzum: Um das Partnerschafts-Schiff durch die Stürme der Veränderung, der Krisen, des Stresses und des Alltags zu steuern, braucht es viel mehr als nur Durchhaltevermögen und einen Trauschein.

Wie schnell passiert es, dass die einst so frühlingshafte Liebe zwischen zwei Menschen dem Alltag zum Opfer fällt. Viele Paare funktionieren im alltäglichen Leben gut miteinander, aber es gibt wenig Raum für Nähe, Austausch, Intimität und Begegnung. Man lebt nebeneinander her. Schnell schleichen sich destruktive Muster in das Zusammenleben, die Kommunikation wird weniger und der Streit mehr. Das frustriert auf Dauer und ist verletzend, man fühlt sich abgelehnt und nicht geliebt. Beide Partner sehnen sich zurück in die Verliebtheitsphase, nach Aufregung, Zärtlichkeit und Liebe, wünschen sich mehr erfüllte Zeit und Freude miteinander. Nur passiert dies nicht von alleine. Partnerschaft braucht genauso viel Pflege wie eine Freundschaft, ein Hobby, eine Zimmerpflanze und der eigene Körper!

Tun Sie Ihrer Partnerschaft etwas Gutes!

Deshalb an dieser Stelle an alle Paare die Botschaft: Tun Sie Ihrer Partnerschaft Gutes! Nehmen Sich sich Zeit füreinander. Entwickeln Sie sich gemeinsam weiter. Und holen Sie sich bei Bedarf Unterstützung! Rechtzeitig! Hören Sie auf die Frühwarnzeichen, die Ihr Partner Ihnen sendet! An der eigenen Partnerschaft zu arbeiten, ist kein Eingeständnis von Versagen, sondern eine Entscheidung für eine glückliche und dauerhafte Beziehung.

Wann es höchte Zeit ist, sich professionelle Hilfe zu holen, erkennen Sie an folgenden Punkten:

  • wenn die Konflikte einen großen Raum einnehmen
  • wenn die Konflikte schon über mehrere Monate dauern
  • wenn die Konflikte heftiger werden
  • wenn die Kinder unter den Konflikten leiden
  • wenn das Vertrauen und die Intimität darunter leiden
  • wenn Sie sich anschweigen
  • wenn sich nach den Konflikten nichts verbessert und sie zu keiner Lösung kommen.
  • wenn Sie das Gefühl haben, nicht auf Augenhöhe miteinander zu sein, wenn einer der Partner sich unterlegen oder überlegen fühlt.

Sie können sich aber bereits Unterstützung holen, wenn

  • Sie lernen wollen, effektiv und gewaltfrei zu kommunizieren,
  • Sie lernen möchten, unterschiedliche Bedürfnisse so auszuhandeln, dass keiner der Partner sich aufgeben muss,
  • Sie Ihrer Partnerschaft etwas Gutes tun wollen,
  • Sie lernen möchten, sich gemeinsam zu entspannen,
  • Sie sich mehr Nähe und Intimität wünschen,
  • Sie Ihren Partner mehr verstehen und Neues von ihm entdecken möchten
  • Sie päventiv Ihre Partnerschaft auf sichere Pfeiler stellen wollen.

Was Sie bei einer Paartherapie erwartet, ist von Berater zu Berater unterschiedlich. In der Regel werden bei den ersten beiden Terminen Fakten gesammelt und das Problem analysiert, um dann mit der Problemlösung zu beginnen. Auch die Therapie-Prozesse verlaufen sehr unterschiedlich. Und wie der Begriff „Prozess“ schon sagt, es braucht Zeit, dass beide Partner sich weiterentwickeln können. Aber erste Erfolge werden in der Regel schon schnell zu merken sein. Sie als Klient können darüberhinaus mitbestimmen, wie weit und wie tief Sie gehen wollen!

Also, liebe Paare, trauen Sie sich! Sie verschrotten Ihr Auto doch auch nicht, bevor es sich ein Fachmann in einer Werkstatt angeschaut hat. Und wenn die Reifen Ihres Autos platt sind, fahren Sie damit ja auch nicht noch Hunderte von Kilometer weiter. Eine rechtzeitige Kurskorrektur vieler Partnerschaften könnte der Scheidungs-Lawine entgegensteuern und damit viel Unglück und Verletzungen verhindern!

Metaphorisch könnte man es so ausdrücken: Es ist besser im Regen zu tanzen, als zu warten bis das Unwetter vorbei geht!

Friederike von Bredow
Dipl. Pädagogin, systemische Paar- und Familientherapeutin
www.neuewege-beratung.com

 

Veröffentlich in Kinderkram – Das Kieler Magazin für Menschen mit Kindern · Nr. 138 · April 2012

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