Karriere, Kind und Schokolade

Von der Schule in den Beruf - (k)ein leichter Weg Ein Interview mit Anke Erdmann, Politikerin und Mutter

Es ist 4 Uhr morgens, in der Nacht von Montag auf Dienstag. Anke Erdmann und ihr Mann schlafen tief und fest, als sich die Schlafzimmertür öffnet und ihr sechsjähriger Sohn Johann das elterliche Schlafzimmer betritt. Mit betroffener Stimme spricht er in die Dunkelheit: Mama und Papa, ich habe eine sehr traurige Nachricht für euch, Winnetou ist tot! Er hatte heimlich unter der Bettdecke Winnetou Teil 3 auf CD gehört und war tief betroffen über das Ableben seines Helden. Für seine Mutter ist damit die Nacht zu Ende, ihr Sohn braucht sie jetzt. In der Morgendämmerung radelt sie müde und dennoch energievoll zum Landtag, an diesem Tag hat sie zwei wichtige Sitzungen, diverse Termine und ein Interview. Eine solche Situation dürfte wohl jeder berufstätigen Mutter bekannt vorkommen. Trotz Schlafmangel volle Leistung bringen zu müssen, gehört zum Standartprogramm einer jeden Mutter und natürlich auch vieler Väter.

„Mutter sein macht schlau – Kompetenz durch Kinder“ lautet der Titel von Catherine Ellisons Bestseller, in dem die Autorin mit dem Vorurteil aufräumt, dass mit dem Mutter werden auch der Verstand verschwinde. Manager besuchen teure Seminare, um das zu lernen, was Mütter (und auch Väter, die viel Zeit mit ihren Kindern verbringen) durch den Umgang mit Kindern längst können. Denn das Leben mit einem Kind stimuliert, wie dutzende Studien belegt haben, zentrale Bereiche unseres Gehirns:

  • Die Wahrnehmung der Mutter wird geschult,
  • die Effizienz des eigenen Handelns gesteigert,
  • die Stressresistenz und Widerstandsfähigkeit erhöht sich,
  • die Leistungsbereitschaft und Motivation ist größer als vor dem Mutter sein
  • und schließlich steigert sich bei Müttern die sogenannte emotionale Intelligenz, womit soziale Kompetenzen jeder Art gemeint sind.

Man könnte also sagen: Mütter sind die besten Mitarbeiter, die eine Firma sich wünschen kann. Die klassischen Rollenbilder haben sich aufgelöst, die Frau definiert sich heute neu. Arbeit, Karriere und Mutter sein zugleich. Außerdem ist sie Partnerin, Freundin, Haushaltsvorstand, Köchin, Familien-Managerin, Tochter, Termin-Planerin und vieles mehr.

Die Doppelbelastung, die Frauen häufig beschreiben, passt also eigentlich nicht. Eher trifft der Begriff „Mehrfach-Belastung“ zu. Die Frau von heute hat unendlich viel Freiheiten dazu gewonnen, kann sich selbst definieren und verwirklichen, wird ernst genommen und kann ihre vielen Kompetenzen in jedem Bereich einsetzen. Der Wehrmutstropfen der neuen Freiheit ist ein hoher Stresspegel und eine Überlastung, unter der viele Frauen leiden. Die eigenen Ansprüche zu erfüllen und die Ansprüche der anderen an die vielen verschiedenen Rollen der Frau, Bedeuten oft eine große Kraftanstrengung und Stress, was zu großer Erschöpfung und Ausgebrannt sein führen kann. Die Frage ist: Wie geht Frau damit um? Wie gelingt der Spagat zwischen Beruf und Mutter? Einen Einblick in das Leben einer vielbeschäftigten Frau, die gleichzeitig Mutter ist, gewährt uns Anke Erdmann, Grünen-Politikerin und Abgeordnete im Schleswig-Holsteinischen Landtag.

Frau Erdmann, Sie sind Abgeordnete
der Grünen im Landtag von Schleswig-Holstein.
Was sind Ihre Aufgaben und Schwerpunkte?

Im Landtag bin ich Neuling, das ist meine erste Legislaturperiode. Ich bin in den Landtag gegangen, weil mich das Thema Bildung wirklich gepackt hat. Ich habe vorher als Ratsfrau Schulpolitik in Kiel gemacht und habe dann kandidiert, weil auf Landesebene im Bildungsbereich sehr viel entschieden wird und man weitaus mehr bewirken kann. Nun kümmere ich mich um Schul- und Kitapolitik und bin stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Ich bin sehr viel in Schleswig-Holstein unterwegs und besuche Schulen und Kitas.

Studiert habe ich Volkswirtschaft, mich haben immer die Gerechtigkeitsfragen interessiert. Für mich ist klar, dass Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft von gerechter Bildung abhängig ist. Klar ist, dass Bildung auch finanziellen Rückenwind braucht, um effektiv sein zu können. Als Bildungspolitikerin ist es ein Vorteil, wenn man keine Angst vor Haushaltsfragen hat, das ist eine gute Kombination.

Wo sehen Sie in Schleswig-Holstein
denn die Probleme und Baustellen?

Ein wesentliches Thema ist die Kinderbetreuung. Ab dem 1. August 2013 hat jedes Kind unter drei Jahren einen Anspruch auf einen Kita-Platz. Aber da hört der Betreuungsbedarf nicht auf. Notwendig ist auch eine ausreichende Betreuung in der Grundschulzeit. Es gibt einfach zu wenig Ganztagsschulen und Hortplätze. Diese müssen eine gute Mischung aus Unterricht, Entspannungsbzw. Bewegungselementen bieten.

Außerdem spielt die Herkunft eines Kindes für den Bildungserfolg eine große Rolle. Aber wir können es uns nicht leisten, Kinder verloren zu geben, die zurückfallen oder den Anforderungen nicht standhalten. In Schleswig Holstein können beispielsweise mehr als 20 % der 15-Jährigen nicht sinnerfassend lesen. Die Frage ist also: Wie entwickeln wir die Schule, die lange auf eine Industriegesellschaft ausgerichtet war, hin zu einer Schule für eine Kreativ- und Wissensgesellschaft? Wie können wir berücksichtigen, dass jedes Kind anders ist, anders lernt? Wie entwickeln wir Lernformen weiter ohne gleich eine neue Schulreform ins Rollen zu bringen? Der wichtigste Gedanke ist: Wir können auf keinen Schüler verzichten, wir dürfen niemanden zurücklassen. Und es gibt Schulen, die die Antowrten schon leben!

Neben Ihren politischen Aufgaben sind Sie Mutter.
Erzählen Sie von Johann und Ihrer Mutterrolle.

Johann ist 6 Jahre alt und geht in eine integrative Ganztags-Kita. Er ist dort sehr gut aufgehoben, so können mein Mann und ich ruhigen Gewissens voll berufstätig sein. Nächstes Jahr kommt er in die Schule. Deshalb müssen auch wir uns gerade um eine Betreuung über die Unterrichtszeit hinaus kümmern.

Wie ist es für Sie, Ihren anspruchsvollen Beruf
und das Mutter-Sein unter einen Hut zu bekommen?

Es ist ein Drahtseilakt. Es erfordert viel Organisationstalent, einen aktiven Vater und Übersicht. Schwierig wird es z.B. in dem Moment, wo einer von uns krank ist oder in den Zeiten, in denen die Kita meines Sohnes geschlossen ist.

In der heutigen Zeit sind die Erwartungen an die berufstätige Mutter enorm gestiegen, aber auch die Ansprüche der Frau
an sich selbst sind hoch.

Ja, genau so ist es. Aber wenn ich mir anschaue, welche Belastung Mütter früher hatten, die unter ganz anderen Umständen einen großen Haushalt geführt haben, dann weiß ich nicht, ob unsere Belastung unbedingt höher ist. Die Aufgaben der Mutter sind auf jeden Fall anders! Das Tempo und der Druck sind höher.

Was ist heute anders als früher?
Was macht die Frau von heute aus?

Für den Haushalt brauchte man früher viel mehr Zeit. Mütter hatten keine Wegwerfwindeln, keine Waschmaschinen, keine Fertiggerichte und schon gar keine Nachmittagsbetreuung. Aber die Strukturen waren eben auch ganz andere. Ich glaube, die größte Herausforderung ist es, die verschiedenen Rollen unter einen Hut zu bringen. Natürlich ist das anstrengend, aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir dadurch unendlich viele Freiheiten und Möglichkeiten dazu gewonnen haben!

Das Wort Doppel- bzw. Mehrfachbelastung kreist
um die vielbeschäftigten berufstätigen Mütter von heute.
Wie empfinden Sie diese Doppelbelastung
und wie gehen Sie damit um?

Wenn es eine Familie mit beiden Elternteilen gibt, ist es nicht nur eine Doppelbelastung für die Frauen, sondern für beide. Man muss viel mehr kommunizieren, austarieren und aushandeln. Manchmal hat man das Gefühl, dass man sich so etwas wie Muße und Zugewandtheit zu anderen gar nicht mehr leisten kann. Da spielt auch die Digitalisierung eine große Rolle, die ständige Erreichbarkeit erhöht den Druck und das Tempo noch weiter. Einer der wichtigsten Faktoren ist es für mich und für uns, den Alltag zu strukturieren und Zeiten zu schaffen, in denen man sich auf das konzentrieren kann, was man gerade macht.

Wie schaffen Sie es, Ihrer Arbeit, Ihrem Sohn,
dem Haushalt und Ihrem Mann gerecht zu werden?

Organisation ist alles. Es gibt Arbeits-Zeit, Familien-Zeit, Johann-Zeit, Laptop-Zeit, Telefon-Zeit usw. Neben der Zeitstrukturierung ist das Nein-Sagen ganz wichtig. Man muss sich abgrenzen können. Und Muße eben. Das bedeutet, dass ich meinen Laptop sehr bewusst anschalte und auf ein Smartphone verzichte. Und dass ich mir Wochenenden ganz bewusst frei halte, um dann mal ein Brot zu backen oder Marmelade zu kochen. Das ist für mich eine gute Abwechslung zu meiner Arbeit.

Natürlich sind mein Mann und ich privilegiert und können uns Dienstleistungen und Unterstützung leisten. Wir haben eine Putzhilfe, einen Babysitter für Johann usw. Was dennoch zu kurz kommt, ist der Sport und Abende mit Freunden, mit denen ich mich viel zu selten treffe. Außerdem würde ich gerne häufige in Jazz-Konzerte gehen. Eigentlich unternehme ich gerne spontan etwas, aber das geht in meinem Alltag nicht. Aber ich beklage mich nicht, denn ich habe auch ganz viele Freiheiten.

Es ist immer wieder ein harter Kampf, sich um die Partnerschaft zu kümmern oder überhaupt Zeit miteinander zu verbringen. Während andere ins Kino gehen, sitzen mein Mann und ich mit unseren Kalendern auf dem Sofa und planen die nächsten vier Wochen. Es ist immer wieder eine Herausforderung, aber es gelingt. Man muss sich als Paar und Familie wichtig nehmen und sich abgrenzen.

Ein wichtiger Faktor ist, dass wir keinen Fernseher haben. Das ist ein echter Vorteil, so bleibt mehr Zeit für andere Dinge.

Was ist aus Ihrer Sicht notwendig,
damit die Frau von heute körperlich und seelisch
gesund bleibt?

Ich weiß nicht, ob ich das so ganz generell sagen kann, aber meine persönliche Zusammenfassung lautet: Weniger Schokolade, weniger Sitzungen und häufiger Tanzen gehen.

Was würde sich Johann wünschen,
wenn er drei Wünsche frei hätte?

Er würde sich wünschen, dass er unendlich viele Wünsche frei hätte. Wenn man ihm dann sagen würde, das gilt nicht, dann wäre die Antwort: Immer einen guten, neuen DVD-Film, eine Hellebarde und mehr Mama-Tage.

Wenn Sie drei Wünsche frei hätte,
welche wären das dann?

Mehr kalorienarme Schokolade, die trotzdem schmeckt… Nein, im Ernst: Ich habe mittlerweile so viele Schulen besucht, die sich auf den Weg gemacht haben, in die Kinder mit großer Freude gehen und lernen, das sind Schulen, die Leistung, Freude und Neugierde verbinden und für die Kinder einen Lebensort darstellen. Ich wünsche mir mehr solcher Lernorte in Schleswig-Holstein. Außerdem mehr Zeit mit meinen Freundinnen und mehr Johann-Tage!

Friederike von Bredow
Dipl. Pädagogin, systemische Paar- und Familientherapeutin
www.neuewege-beratung.com

 

Veröffentlich in Kinderkram – Das Kieler Magazin für Menschen mit Kindern · Nr. 135 · Dez./Jan. 2011/12

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